Club der unsichtbaren Frauen by Jeanne Ray

Club der unsichtbaren Frauen by Jeanne Ray

Autor:Jeanne Ray [Ray, Jeanne]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644216716
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-01-13T16:00:00+00:00


Als ich heimkam, war niemand zu Hause, nicht mal Red. Ein wenig panisch stand ich in der Küche und schüttelte eine Tüte Hundekekse. In diesem Moment schnarrte das Handy in meiner Tasche – eine SMS von Evie.

KEMPTONS, beantwortete sie die Frage, die ich gar nicht gestellt hatte.

Dann war ja alles in Ordnung. Auf Gilda konnte ich mich verlassen, die passte schon auf den Hund auf. Den Kindern traute ich nicht mal zu, auf sich selbst aufzupassen.

Da ich gerade von einem Meeting kam, war ich angezogen, denn ich hielt immer noch viel davon, bekleidet Auto zu fahren. Trotzdem wickelte ich mich zusätzlich in einen bauschigen Wollschal, den ich letztes Jahr in einem misslungenen Experiment selbst gestrickt hatte. Seit der Sache mit dem Morgenmantel achtete ich darauf, immer hübsch bedeckt zu sein, wenn ich zu Gilda ging.

Benny machte mir auf. Er schnupperte ein wenig, als ich mit meinem Duft an ihm vorüberzog. Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass er mir auf der Spur war, aber sein konfuser Gesichtsausdruck verriet leider das Gegenteil. «Warum bist du nicht in der Schule?», fragte ich misstrauisch.

«Herbstferien», flüsterte er und bedeutete mir, ihm zu folgen. Benny hatte die Schuhe ausgezogen und lief mir in Socken auf den Zehenspitzen voran ins Wohnzimmer. Ich sah sofort, was los war: Meine Tochter lag, den Kopf auf Gildas Schoß gebettet, auf dem Sofa und schlief. Gildas Hand ruhte in Evies goldenen Locken. Den beiden gegenüber saß Miller hingerissen in einem Sessel und konnte die Augen nicht von diesem offenbar atemberaubenden Schauspiel abwenden. Benny ließ sich lautlos in den Sessel daneben sinken und nahm seinen Wachposten wieder ein. Red, der zu Evies Füßen auf dem Sofa lag, hob den Kopf, um einmal kurz mit dem Schwanz zu wedeln und sich dann wieder auf die Pfoten zu legen.

«Sie ist gerade erst eingeschlafen», flüsterte Gilda.

Miller blickte kurz zu mir, um sicherzugehen, dass ich das Dornröschen nicht etwa aufweckte oder, schlimmer noch, es wieder mit nach Hause nahm. «Sie hat geweint», sagte er so leise, dass ich es ihm von den Lippen ablesen musste, ein Gefallen, der uns unsichtbaren Frauen nie zurückgegeben wird.

Ich ließ mich auf eine Chaiselongue sinken und schloss mich den Zuschauern an. Sie war wirklich ein zauberhafter Anblick. Ganz ungeschminkt – bei all dem Geheule wäre das kontraproduktiv gewesen – schlief sie den Schlaf der reinen Unschuld. Tatsächlich sah sie eher aus wie eine Zwölfjährige und nicht wie zwanzig. Sie erinnerte mich an das Kind, das sie bis vor nicht allzu langer Zeit gewesen war, und an die zahllosen Male, da sie hinten im Auto das Köpfchen hatte zur Seite sacken lassen und eingeschlafen war. Mit ihren übergroßen Augen, dem runden Rosenknospenmund und den dunkelblonden, anmutig geschwungenen Augenbrauen sah sie aus wie eine Heldin aus einem Dickens-Roman. Wie Estella, Little Nell oder die schöne, aber törichte Dora. Das dachte ich zumindest, als plötzlich ihr Handy zu vibrieren begann, das sie in der kleinen weißen Faust umklammert hielt. Sie gab so etwas wie «Ah!» oder «Oh!» von sich und richtete sich so jäh auf, dass sie mit ihren Füßen Red vom Sofa fegte.



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